Eugene Bach (Hauptautor), Esther Chang (Hauptautor)
Die Schmugglerin des Lichts
Strahlen der Hoffnung im finstersten Land der Welt.
Jahrelang versteckt Esther in China nordkoreanische Flüchtlinge bei sich zu Hause und erzählt ihnen von Jesus. Eines Tages öffnet Gott ihr eine Tür in das verschlossene Land. Für chinesische Firmen arbeitend, kann sie legal nach Nordkorea einreisen. Sie begegnet vielen Notleidenden und Hoffnungslosen und schenkt ihnen Anteilnahme, Hilfsgüter und Geld. Durch Esther entstehen 25 Hausgemeinden. Dann wird Esther verhaftet .. Trotz Verfolgung gibt es in Nordkorea 200.000 Christen.
Bestellnummer:
114328
EAN:
9783765543289
Urheber:
Eugene Bach (Hauptautor), Esther Chang (Hauptautor)
Verlag:
Brunnen Verlag, Gießen
Produktart:
Buch
Einbandart:
kartoniert
Format:
H 18,6 cm/B 12,0 cm
Seitenzahl:
208
veröffentlicht:
01.01.2018
Ursprungsland:
Deutschland
Sonderangebot
6,00 €
Normalpreis
12,00 €
Alle Preise inkl. MwSt.
sofort lieferbar
Nordkorea: das verschlossenste Land der Welt. Die brutale Verfolgung der Gegner des Regimes nimmt immer härtere Züge an. Christen gelten als Staatsfeinde Nr. 1. Und doch gibt es hier heute mindestens 70.000 Christen in Nordkorea. So schätzen Hilfsorganisationen. Das liegt auch an mutigen Christen wie Esther Chang. Die Tochter einer chinesischen Arztfamilie (geboren 1967) beherrscht beide Sprachen: Chinesisch und Koreanisch, da ihre Familie koreanischer Abstammung ist. Nachdem Esther jahrelang täglich ihr Leben riskierte, um nordkoreanische Flüchtlinge zu Hause in China zu verstecken, zu versorgen und ihnen von Jesus Christus zu erzählen, öffnet Gott Türen nach Nordkorea: Als Bevollmächtigte verschiedener chinesischer Firmen bewegt sich Esther legal im Land. Bei verschiedenen Reisen verteilt sie Hilfsgüter und Geld. Vor allem begegnet sie vielen hoffnungslosen Menschen mit Liebe und Anteilnahme. Wenn es sein muss, kann sie vor Behördenvertretern sehr tough auftreten.
Fassungslos erlebt sie, wie abgestumpft viele Nordkoreaner durch die Not sind. Wenn jemand auf der Straße vor Hunger stirbt, kümmert das häufig niemanden. Kannibalismus ist an der Tagesordnung. Sogar Familienangehörige werden gegessen.
Esther erlebt viele Bekehrungen und Gebetsheilungen. Durch sie entstehen 25 christliche Hausgemeinden. Dann werden Christen verhaftet. Unter Folter verraten sie etwas. Jetzt ist die Geheimpolizei Esther auf der Spur. Sie wird ebenfalls verhaftet und gefoltert. Durch eine Fügung Gottes kommt sie frei und kehrt nach Hause zurück. Dort nimmt sie die Arbeit unter Flüchtlingen sofort wieder auf. Bis zur Verhaftung 2007, diesmal in China. Fünf Wochen muss sie in einem der berüchtigten chinesischen Geheimgefängnisse Folter und Hunger ertragen. Heute lebt sie mit ihrer Familie im Ausland, da ihr Leben in China zu sehr gefährdet ist.
Eine sehr spannende, authentische Geschichte.
Aus dem Buch:
Für Nordkoreaner ist es möglich, ja sogar erwünscht, entfernte Verwandte aus China registrieren zu lassen und ihnen so Visa für einen Besuch zu beschaffen. Diese Besuche sind für die nordkoreanische Regierung ebenso wichtig wie für die Bevölkerung, denn auf diese Weise gelangen Lebensmittel und Geld als Geschenke für Verwandte nach Nordkorea, die für viele in dem verarmten Land eine Überlebensgrundlage bilden. Für die Grenzwachen springt in der Regel ein Bestechungsgeld heraus, wenn die „Verwandten“ die Grenze passieren; die Familien erhalten das Lebensnotwendigste und die Machthaber die Anerkennung dafür, dass sie diese Besuche gestatten. Also hat jeder etwas davon.
Als der Brief mit der Einladung kam, traf Esther mit ihrer Familie Vorbereitungen für eine Reise nach Nordkorea. Esther war ebenso erwartungsvoll wie ängstlich. Sie wollte wirklich gern wissen, wo die Flüchtlinge herkamen und wie das Leben in Nordkorea aussah. Es würde ihr helfen, sie besser zu verstehen und besser mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Im März 2004 steuerte Esthers Mann den Wagen langsam über die Brücke, die das Niemandsland zwischen China und Nordkorea bildet. Die Grenzkontrolle auf der chinesischen Seite hatten sie schon hinter sich. Auf der anderen Seite erwarteten die koreanischen Grenzposten sie und Esther spürte förmlich die durchdringenden Blicke. Wie oft hatte sie schon über diesen Fluss nach Nordkorea hinübergeschaut, aber das Land selbst hatte sie noch nie betreten. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie weit sie von ihrem Zuhause in Shenyang fort waren.
Die Einreiseformalitäten nach Nordkorea waren nicht zu vergleichen mit dem Verfahren am Flughafen auf Saipan. Alle Vorschriften und Abläufe schienen aus den 1950er-Jahren zu stammen oder von noch früher. Die Grenzbeamten gaben sich kalt und leblos und funktionierten wie Maschinen. Es gab kein Lächeln, kein Gespräch, kein Zeichen einer Emotion.
Aus dem dreckigen Checkpoint-Häuschen musterten kalte Blicke Esther und ihre Familie, während die Beamten die Papiere durchsahen. Diese Männer kannten kein anderes Leben. Jeden Tag gingen ihre Blicke über den Fluss nach China und sie konnten nur mutmaßen, wie das Leben dort aussah … Sie hatten keine Ahnung von den wirtschaftlichen und finanziellen Veränderungen, die China mit jedem Tag ein wenig mehr Wohlstand brachten. Wissen dieser Art hielten die Machthaber gezielt von der Bevölkerung fern, damit niemand auf den Gedanken kam, wirtschaftliche Reformen auch in Nordkorea zu verlangen oder den gottgleichen Status des Staatsführers infrage zu stellen.
Esther verspürte das Bedürfnis, diese roboterhaften Figuren wachzurütteln und ihnen zu sagen, wie die Welt wirklich aussah. Aber vielleicht waren sie gar nicht in der Lage, die Wahrheit zu glauben. Schließlich hatte man sie von Geburt an darauf programmiert, die Lügenpropaganda der Machthaber zu glauben. Den Herrschenden war es zwar nicht gelungen, den Süden zu erobern oder eine eigene Wirtschaft aufzubauen, geschweige denn die Bevölkerung ausreichend zu ernähren. Dafür aber kontrollierten sie mit Erfolg den Informationsfluss und impften jedem einzelnen Menschen innerhalb der Landesgrenzen eine beständige Furcht ein.
Zeitreise in die Fünfzigerjahre
Die Zollbeamten waren unnachgiebig und erlaubten nicht, dass Esthers Familie im eigenen Wagen ins Land einreiste. Das war ein großes Problem, denn die diversen Geschenke, die sie dabei hatten, waren zu schwer, um sie anderweitig zu transportieren. Verboten war außerdem die Einfuhr von allem, was mit koreanischer Schrift bedruckt war. Nur chinesisch, englisch oder russisch beschriftete Waren gingen durch. Alle Lebensmittel mit koreanischer Beschriftung mussten im Wagen bleiben …
Die Grenzposten stießen ihre Bajonette in die Packungen mit Reis, die dabei zerrissen, sodass der Reis auf den Boden rieselte – man konnte ihn später auflesen. Schamlos bedienten sie sich von den Süßigkeiten und gaben sich nicht einmal Mühe zu verbergen, dass sie die Dinge für die eigene Tasche stahlen. Als Regierungsangestellte hielten sie es für ihr gutes Recht, den Besitz anderer Leute für sich zu beanspruchen. Nachdem sie hatten, was sie wollten, verlangten sie, dass Esther eine „Inspektionsgebühr“ bezahlte.
Nach den langwierigen Zoll- und Grenzformalitäten durften sie endlich das Land betreten. Esther kam sich vor wie in einem Traum. Sie erinnerte sich an Geschichten, die ihr Vater und ihr Großvater erzählt hatten: wie es in China nach der Revolution gewesen war, nach dem „Großen Sprung nach vorn“, und sie fragte sich, ob die Verhältnisse ähnlich gewesen waren wie das, was sie hier in Nordkorea zu sehen bekam. Viele Menschen auf den Straßen trugen nicht einmal Schuhe, sondern einfache Stofffetzen an den Füßen. Esther und ihre Familie waren sofort als Fremde zu erkennen – sie waren gepflegter und viel besser gekleidet als sonst jemand auf der Straße. Kleidung, wie Esther und ihre Familie sie trugen, wäre einem Nordkoreaner niemals erlaubt worden.
Esther sah sich um und bemerkte plötzlich, dass sie sich selbst in den Arm kniff, bis es schmerzte – alles um sie her war so unwirklich, wie ein einziger Albtraum. Selbst ihre Freundin, die ihr das Visum verschafft und sie eingeladen hatte, schien reserviert und distanziert, als sie Esther an der Grenze empfing … Sie gingen die Straße entlang und sahen einen älteren Mann von etwa vierzig Jahren auf dem Fahrrad. Ein kleiner Junge fuhr ebenfalls mit dem Fahrrad in dieselbe Richtung – genau in das Fahrrad des Mannes. Der Junge stürzte und schien ernsthaft verletzt zu sein. Der Mann stieg vom Rad, lief zu dem Kind und statt ihm zu helfen, schlug er auf den Jungen ein. Esthers Familie sah erschrocken zu, wie dieser Mann auf ein Kind einprügelte, das gerade einen Fahrradunfall gehabt hatte.
Bis zum Haus ihrer Freundin war es nicht weit. Das Haus war eigentlich eine schäbige Hütte ähnlich den behelfsmäßigen Unterkünften, die es während der Kulturrevolution überall in den Dörfern in Nordostchina gegeben hatte – Holzverschläge mit Schornsteinen, die sich durch kaputte, schiefe Holzschindeldächer in den Himmel streckten. Jeder Schornstein stand für ein oder zwei Familien – und in jedem der Holzbauten gab es etliche Schornsteine.
Drinnen war es dunkel. Staub schwebte in der Luft, den man allerdings nur in den kurzen Momenten sah, wenn Tageslicht durch das Fenster oder einen Spalt in der Bretterwand drang. Bilder von Kim Jong-il und seinem Vater Kim Il-sung – dem Staatsgründer von Nordkorea – hingen gut sichtbar an den Wänden. Die Bilder waren die Hauptattraktion in diesem Haus, das Hübscheste, was diese Familie besaß. Alle Nordkoreaner hatten die Pflicht, diese „Familienschätze“ in gepflegtem Zustand zu erhalten. Sollte der Rahmen zerbrechen, das Glas schmutzig oder das Bild beschädigt werden, mussten die Besitzer mit harten Strafen wegen Beleidigung des Staatsführers rechnen.
Bis auf diese Bilder war das Haus dieser nordkoreanischen Familie praktisch leer. Man konnte nur in dem kahlen Raum sitzen und einander ansehen. Es gab keine Spielekonsolen, keine Brettspiele. Draußen gab es keine öffentlichen Parks, keine Sehenswürdigkeiten. Das ganze Land schien unter einer dunklen Wolke der Depression zu liegen.
Ein Haufen Lumpen auf den Bahngleisen
Ihre Gastgeber waren sehr großzügig und teilten das Wenige, was sie hatten, mit Esther. Da sie als Verwandte galt, stand es ihr frei, sich in der Gegend umzusehen, ohne dass die für Touristen übliche Polizeieskorte sie begleitete. Am nächsten Tag machten sie alle zusammen einen Spaziergang durch die Nachbarschaft. Unter einem großen, Schatten spendenden Baum am Straßenrand saßen etliche Menschen in einem Kreis beisammen. Als die Gruppe näherkam, sah Esther, dass die Menschen einen Mann in ihrer Mitte hatten, der schwach und krank zu sein schien.
„Was fehlt ihm?“, fragte Esther.
Niemand antwortete. Sie hockten nur in sich zusammengesunken da, völlig apathisch. Esther wiederholte ihre Frage: „Stimmt irgendetwas nicht?“
Jemand sah mit leblosen Augen zu ihr auf. „Er ist tot.“
Esther blieb stehen. Sie war entsetzt. Niemand weinte oder ließ sonst Anzeichen von Trauer erkennen. Weder Polizei noch Krankenwagen erschienen, um den Mann abzuholen. Wer weiß, wie lange er schon tot war. Niemand schien davon Notiz zu nehmen, außer den Menschen unter dem Baum.
Sie gingen weiter, entlang der Bahnschienen. In einiger Entfernung sah Esther etwas, das wie ein Lumpenhaufen aussah. Als sie näherkam, erkannte sie, dass es der ausgemergelte Körper eines jungen Mädchens war. Auch sie war tot.
Esther hatte schon einige Tote in ihrem Leben zu Gesicht bekommen. Aber noch nie hatte sie diese Gleichgültigkeit gegenüber einem Leichnam erlebt. Es schien niemanden zu kümmern, dass dieses Mädchen mitten auf den Bahngleisen zusammengebrochen und gestorben war.
Esther sah der Toten ins Gesicht. Es war leblos, aber darin unterschied es sich kaum von den Gesichtern der noch lebenden Menschen, die sie in den Straßen sah. Dieses Mädchen war gestorben – ohne Hoffnung und sehr wahrscheinlich auch ohne Jesus zu kennen, ihren Herrn und Erlöser. Esther stand lange da und betrachtete dieses Gesicht. Und je länger sie so dastand, umso mehr wurde das Gesicht der Toten zu ihrem eigenen Gesicht und der Körper zu ihrem Körper.
In diesem Augenblick erkannte Esther: Zwischen diesem toten Mädchen und ihr selbst gab es eigentlich keinen Unterschied. Wäre sie auf der anderen Seite der Grenze geboren worden, dann wäre sie so geworden wie diese Tote – eine kalte, leblose, gefühllose, unehrliche Diebin am Rand des Verhungerns. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, auf welcher Seite der Grenze sie jeweils geboren waren.
Oder: Aus dem Buch:
Nach einigen weiteren Reisen nach Nordkorea kam Esther in Kontakt mit ein paar chinesischen Geschäftsleuten, die nach Möglichkeiten suchten, ihre Geschäftstätigkeit in das abgeschlossene Land hinein auszuweiten. Esther war für sie die geeignete Person, die ihnen sagen konnte, wie sie es einfädeln mussten. Esther ergriff diese Chance nur zu gern und brachte etliche große Investoren ins Land, was sie rasch bei den Grenzposten und den nordkoreanischen Behörden bekannt machte.
Allerdings wurde sie von den Staatsvertretern auch misstrauisch beäugt. Kein Ausländer blieb jemals so lange im Land und lebte so lange unter den erbärmlichen Verhältnissen. Niemand sonst organisierte Lkw-Ladungen von dringend benötigten Lebensmitteln aus China, ohne daraus einen persönlichen Gewinn zu ziehen. Sie war eine Ausnahmeerscheinung und allein das machte sie verdächtig. Andererseits wurde sie von der Regierung geduldet, denn sie war die Einzige, die große Warenlieferungen von unterschiedlichen Lieferanten besorgen konnte. Der Regierung galt sie als unerwarteter Glücksfall für die Menschen in Nordkorea.
Aber Esther brachte nicht nur Investoren ins Land. Neben all den anderen Warenlieferungen hatte sie immer Dinge mit, die sie selbst verschenkte und von denen sie wusste, dass sie dringend gebraucht wurden: Reis, Zucker und Mehl. Natürlich hätte sie auch gern Bibeln ins Land geschmuggelt. Aber sie hatte von Anfang an eine Entscheidung getroffen: Sie würde nur völlig legal einreisen.
Oft hatte sie ein Schwein dabei, das am ersten oder zweiten Abend in Nordkorea gebraten wurde. Die Menschen rochen den Duft des Fleisches, kamen aus dem weiten Umkreis und klopften an die Tür. Sie gaben vor, sie wollten Fleisch kaufen, aber jeder wusste, dass niemand Geld hatte und alle hofften, etwas umsonst zu bekommen. Anscheinend hungerte die gesamte Bevölkerung in Nordkorea und wollte nur einmal wieder ein kleines Stückchen Fleisch auf dem Teller haben.
Egal, wer anklopfte – Esther sorgte dafür, dass jeder wenigstens irgendetwas bekam. Sie verteilte Fleisch, Reis, Suppe und was sie sonst noch aus China mitgebracht hatte. Es war der erste Schritt, um ihre Arbeit unter den Nordkoreanern aufzubauen. Unter den Dorfbewohnern war Esther rasch überall bekannt. Vom Ältesten bis zum Jüngsten – alle kamen sie, um ein wenig Nahrung von Esther zu erhalten. Viele von ihnen hatten erschütternde Geschichten zu erzählen. Die meisten handelten davon, dass man fast verhungerte, dass Menschen ein ganzes Jahr lang keinerlei Proteine gegessen hatten, bis auf vielleicht ein einziges Ei.
Esthers Freigiebigkeit ließ die Menschen bald begreifen, dass sie Esther wirklich am Herzen lagen, und sie begannen ihr zu vertrauen. Esther konnte langsam beginnen, ihnen vom Evangelium zu erzählen.
******
Unter denen, die öfters kamen, gab es eine Frau, die Gitarre spielen konnte und sang. Aber sie hatte Tuberkulose und war stark unterernährt, weil es einfach nicht genug zu essen gab. Zu alledem schlug ihr Mann sie täglich. Als Esther sie kennenlernte, war sie nur noch Haut und Knochen. Ihre Augen waren trübe und sie sah aus, als würde sie jeden Moment einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Esther konnte nicht glauben, dass diese Frau die Schläge ihres Mannes noch ein einziges Mal überleben würde. Sie gab ihr Fleisch und Reissuppe und die Frau aß unter Tränen. Mit jedem Bissen, den sie schluckte, schien ihre Kraft zurückzukommen. Mit Tränen in den Augen sah sie Esther an.
„Vielen, vielen Dank für dieses Essen“, sagte sie. „Es ist sehr lange her, dass ich zuletzt Fleisch gegessen habe.“ Sie sah zu Boden und versuchte sich an dieses letzte Mal zu erinnern. „Einmal hatte ich solches Verlangen nach Fleisch, dass ich einen Ledergürtel gekocht habe, den ich auf der Straße gefunden hatte.“
Ein paar Tage später war die Frau wieder da. Sie brachte ihren Mann und ihren neunzehnjährigen Sohn mit. Beide waren ebenso ausgezehrt wie sie, also bot Esther ihnen von der Reissuppe an. Der Mann war sehr reserviert und nahm nur zögernd an, was sie ihm reichte, aber er wollte auch überleben und konnte Essen, das man ihm umsonst anbot, nicht ablehnen. Nachdem er gegessen hatte, wurde er zugänglicher und begann zu reden.
Esther fiel es leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Er habe einen Abschluss an der Universität in Pjöngjang gemacht, einer der angesehensten Hochschulen in Nordkorea, berichtete er. Esther stellte fest, dass sie gut über gemeinsame Interessen reden konnten.
Nach einem langen Gespräch ergab sich eine Gelegenheit, das Evangelium ins Spiel zu bringen. Sobald Esther den Namen Jesus erwähnte, verstummte ihr Gesprächspartner und hörte ihr sehr aufmerksam zu. Er schien jedes Wort aufzusaugen, das Esther über diesen ihm völlig unbekannten Jesus sagte. Die drei gingen an diesem Abend spät und Esther sah sie eine Weile nicht mehr.
Eines Tages war sie gerade auf dem Heimweg zu ihrer Unterkunft, als jemand ihren Namen rief. Sie blickte sich um und sah die Sängerin mit der Tuberkulose. Esther blieb stehen und die Frau rannte förmlich auf sie zu und – was Esther in Nordkorea noch nie jemanden hatte tun sehen – schlang die Arme um Esthers Hals.
„Meine Schwester aus China!“, rief sie aus. „Ich habe nicht gedacht, dass ich dich noch einmal sehe! Wie gut, dich wiederzusehen.“ Esther war fast erschrocken, dass diese Frau in aller Öffentlichkeit ihre Verbundenheit zum Ausdruck brachte.
„Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen“, erwiderte sie. „Wie steht es zwischen dir und deinem Mann?“
„Oh, danke. Es könnte nicht besser sein. Ich weiß nicht, was passiert ist. Immer hat er mich geschlagen und auch unserem Sohn das Leben schwer gemacht. Aber jetzt ist er ein neuer Mensch. Er behandelt mich besser denn je. Es ist, als hätte das, was du an dem Abend damals mit ihm gesprochen hast, ihn völlig verwandelt. Ich kann es noch immer kaum fassen, wieviel besser mein Leben jetzt ist.“
Esther freute sich mit ihr. „Das ist erst der Anfang“, lächelte sie. „Und es wird noch besser werden“, sagte sie und wies zum Himmel, um anzudeuten, dass Gott für diese Frau und ihren Mann noch mehr Gutes bereithielt.
Fassungslos erlebt sie, wie abgestumpft viele Nordkoreaner durch die Not sind. Wenn jemand auf der Straße vor Hunger stirbt, kümmert das häufig niemanden. Kannibalismus ist an der Tagesordnung. Sogar Familienangehörige werden gegessen.
Esther erlebt viele Bekehrungen und Gebetsheilungen. Durch sie entstehen 25 christliche Hausgemeinden. Dann werden Christen verhaftet. Unter Folter verraten sie etwas. Jetzt ist die Geheimpolizei Esther auf der Spur. Sie wird ebenfalls verhaftet und gefoltert. Durch eine Fügung Gottes kommt sie frei und kehrt nach Hause zurück. Dort nimmt sie die Arbeit unter Flüchtlingen sofort wieder auf. Bis zur Verhaftung 2007, diesmal in China. Fünf Wochen muss sie in einem der berüchtigten chinesischen Geheimgefängnisse Folter und Hunger ertragen. Heute lebt sie mit ihrer Familie im Ausland, da ihr Leben in China zu sehr gefährdet ist.
Eine sehr spannende, authentische Geschichte.
Aus dem Buch:
Für Nordkoreaner ist es möglich, ja sogar erwünscht, entfernte Verwandte aus China registrieren zu lassen und ihnen so Visa für einen Besuch zu beschaffen. Diese Besuche sind für die nordkoreanische Regierung ebenso wichtig wie für die Bevölkerung, denn auf diese Weise gelangen Lebensmittel und Geld als Geschenke für Verwandte nach Nordkorea, die für viele in dem verarmten Land eine Überlebensgrundlage bilden. Für die Grenzwachen springt in der Regel ein Bestechungsgeld heraus, wenn die „Verwandten“ die Grenze passieren; die Familien erhalten das Lebensnotwendigste und die Machthaber die Anerkennung dafür, dass sie diese Besuche gestatten. Also hat jeder etwas davon.
Als der Brief mit der Einladung kam, traf Esther mit ihrer Familie Vorbereitungen für eine Reise nach Nordkorea. Esther war ebenso erwartungsvoll wie ängstlich. Sie wollte wirklich gern wissen, wo die Flüchtlinge herkamen und wie das Leben in Nordkorea aussah. Es würde ihr helfen, sie besser zu verstehen und besser mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
Im März 2004 steuerte Esthers Mann den Wagen langsam über die Brücke, die das Niemandsland zwischen China und Nordkorea bildet. Die Grenzkontrolle auf der chinesischen Seite hatten sie schon hinter sich. Auf der anderen Seite erwarteten die koreanischen Grenzposten sie und Esther spürte förmlich die durchdringenden Blicke. Wie oft hatte sie schon über diesen Fluss nach Nordkorea hinübergeschaut, aber das Land selbst hatte sie noch nie betreten. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie weit sie von ihrem Zuhause in Shenyang fort waren.
Die Einreiseformalitäten nach Nordkorea waren nicht zu vergleichen mit dem Verfahren am Flughafen auf Saipan. Alle Vorschriften und Abläufe schienen aus den 1950er-Jahren zu stammen oder von noch früher. Die Grenzbeamten gaben sich kalt und leblos und funktionierten wie Maschinen. Es gab kein Lächeln, kein Gespräch, kein Zeichen einer Emotion.
Aus dem dreckigen Checkpoint-Häuschen musterten kalte Blicke Esther und ihre Familie, während die Beamten die Papiere durchsahen. Diese Männer kannten kein anderes Leben. Jeden Tag gingen ihre Blicke über den Fluss nach China und sie konnten nur mutmaßen, wie das Leben dort aussah … Sie hatten keine Ahnung von den wirtschaftlichen und finanziellen Veränderungen, die China mit jedem Tag ein wenig mehr Wohlstand brachten. Wissen dieser Art hielten die Machthaber gezielt von der Bevölkerung fern, damit niemand auf den Gedanken kam, wirtschaftliche Reformen auch in Nordkorea zu verlangen oder den gottgleichen Status des Staatsführers infrage zu stellen.
Esther verspürte das Bedürfnis, diese roboterhaften Figuren wachzurütteln und ihnen zu sagen, wie die Welt wirklich aussah. Aber vielleicht waren sie gar nicht in der Lage, die Wahrheit zu glauben. Schließlich hatte man sie von Geburt an darauf programmiert, die Lügenpropaganda der Machthaber zu glauben. Den Herrschenden war es zwar nicht gelungen, den Süden zu erobern oder eine eigene Wirtschaft aufzubauen, geschweige denn die Bevölkerung ausreichend zu ernähren. Dafür aber kontrollierten sie mit Erfolg den Informationsfluss und impften jedem einzelnen Menschen innerhalb der Landesgrenzen eine beständige Furcht ein.
Zeitreise in die Fünfzigerjahre
Die Zollbeamten waren unnachgiebig und erlaubten nicht, dass Esthers Familie im eigenen Wagen ins Land einreiste. Das war ein großes Problem, denn die diversen Geschenke, die sie dabei hatten, waren zu schwer, um sie anderweitig zu transportieren. Verboten war außerdem die Einfuhr von allem, was mit koreanischer Schrift bedruckt war. Nur chinesisch, englisch oder russisch beschriftete Waren gingen durch. Alle Lebensmittel mit koreanischer Beschriftung mussten im Wagen bleiben …
Die Grenzposten stießen ihre Bajonette in die Packungen mit Reis, die dabei zerrissen, sodass der Reis auf den Boden rieselte – man konnte ihn später auflesen. Schamlos bedienten sie sich von den Süßigkeiten und gaben sich nicht einmal Mühe zu verbergen, dass sie die Dinge für die eigene Tasche stahlen. Als Regierungsangestellte hielten sie es für ihr gutes Recht, den Besitz anderer Leute für sich zu beanspruchen. Nachdem sie hatten, was sie wollten, verlangten sie, dass Esther eine „Inspektionsgebühr“ bezahlte.
Nach den langwierigen Zoll- und Grenzformalitäten durften sie endlich das Land betreten. Esther kam sich vor wie in einem Traum. Sie erinnerte sich an Geschichten, die ihr Vater und ihr Großvater erzählt hatten: wie es in China nach der Revolution gewesen war, nach dem „Großen Sprung nach vorn“, und sie fragte sich, ob die Verhältnisse ähnlich gewesen waren wie das, was sie hier in Nordkorea zu sehen bekam. Viele Menschen auf den Straßen trugen nicht einmal Schuhe, sondern einfache Stofffetzen an den Füßen. Esther und ihre Familie waren sofort als Fremde zu erkennen – sie waren gepflegter und viel besser gekleidet als sonst jemand auf der Straße. Kleidung, wie Esther und ihre Familie sie trugen, wäre einem Nordkoreaner niemals erlaubt worden.
Esther sah sich um und bemerkte plötzlich, dass sie sich selbst in den Arm kniff, bis es schmerzte – alles um sie her war so unwirklich, wie ein einziger Albtraum. Selbst ihre Freundin, die ihr das Visum verschafft und sie eingeladen hatte, schien reserviert und distanziert, als sie Esther an der Grenze empfing … Sie gingen die Straße entlang und sahen einen älteren Mann von etwa vierzig Jahren auf dem Fahrrad. Ein kleiner Junge fuhr ebenfalls mit dem Fahrrad in dieselbe Richtung – genau in das Fahrrad des Mannes. Der Junge stürzte und schien ernsthaft verletzt zu sein. Der Mann stieg vom Rad, lief zu dem Kind und statt ihm zu helfen, schlug er auf den Jungen ein. Esthers Familie sah erschrocken zu, wie dieser Mann auf ein Kind einprügelte, das gerade einen Fahrradunfall gehabt hatte.
Bis zum Haus ihrer Freundin war es nicht weit. Das Haus war eigentlich eine schäbige Hütte ähnlich den behelfsmäßigen Unterkünften, die es während der Kulturrevolution überall in den Dörfern in Nordostchina gegeben hatte – Holzverschläge mit Schornsteinen, die sich durch kaputte, schiefe Holzschindeldächer in den Himmel streckten. Jeder Schornstein stand für ein oder zwei Familien – und in jedem der Holzbauten gab es etliche Schornsteine.
Drinnen war es dunkel. Staub schwebte in der Luft, den man allerdings nur in den kurzen Momenten sah, wenn Tageslicht durch das Fenster oder einen Spalt in der Bretterwand drang. Bilder von Kim Jong-il und seinem Vater Kim Il-sung – dem Staatsgründer von Nordkorea – hingen gut sichtbar an den Wänden. Die Bilder waren die Hauptattraktion in diesem Haus, das Hübscheste, was diese Familie besaß. Alle Nordkoreaner hatten die Pflicht, diese „Familienschätze“ in gepflegtem Zustand zu erhalten. Sollte der Rahmen zerbrechen, das Glas schmutzig oder das Bild beschädigt werden, mussten die Besitzer mit harten Strafen wegen Beleidigung des Staatsführers rechnen.
Bis auf diese Bilder war das Haus dieser nordkoreanischen Familie praktisch leer. Man konnte nur in dem kahlen Raum sitzen und einander ansehen. Es gab keine Spielekonsolen, keine Brettspiele. Draußen gab es keine öffentlichen Parks, keine Sehenswürdigkeiten. Das ganze Land schien unter einer dunklen Wolke der Depression zu liegen.
Ein Haufen Lumpen auf den Bahngleisen
Ihre Gastgeber waren sehr großzügig und teilten das Wenige, was sie hatten, mit Esther. Da sie als Verwandte galt, stand es ihr frei, sich in der Gegend umzusehen, ohne dass die für Touristen übliche Polizeieskorte sie begleitete. Am nächsten Tag machten sie alle zusammen einen Spaziergang durch die Nachbarschaft. Unter einem großen, Schatten spendenden Baum am Straßenrand saßen etliche Menschen in einem Kreis beisammen. Als die Gruppe näherkam, sah Esther, dass die Menschen einen Mann in ihrer Mitte hatten, der schwach und krank zu sein schien.
„Was fehlt ihm?“, fragte Esther.
Niemand antwortete. Sie hockten nur in sich zusammengesunken da, völlig apathisch. Esther wiederholte ihre Frage: „Stimmt irgendetwas nicht?“
Jemand sah mit leblosen Augen zu ihr auf. „Er ist tot.“
Esther blieb stehen. Sie war entsetzt. Niemand weinte oder ließ sonst Anzeichen von Trauer erkennen. Weder Polizei noch Krankenwagen erschienen, um den Mann abzuholen. Wer weiß, wie lange er schon tot war. Niemand schien davon Notiz zu nehmen, außer den Menschen unter dem Baum.
Sie gingen weiter, entlang der Bahnschienen. In einiger Entfernung sah Esther etwas, das wie ein Lumpenhaufen aussah. Als sie näherkam, erkannte sie, dass es der ausgemergelte Körper eines jungen Mädchens war. Auch sie war tot.
Esther hatte schon einige Tote in ihrem Leben zu Gesicht bekommen. Aber noch nie hatte sie diese Gleichgültigkeit gegenüber einem Leichnam erlebt. Es schien niemanden zu kümmern, dass dieses Mädchen mitten auf den Bahngleisen zusammengebrochen und gestorben war.
Esther sah der Toten ins Gesicht. Es war leblos, aber darin unterschied es sich kaum von den Gesichtern der noch lebenden Menschen, die sie in den Straßen sah. Dieses Mädchen war gestorben – ohne Hoffnung und sehr wahrscheinlich auch ohne Jesus zu kennen, ihren Herrn und Erlöser. Esther stand lange da und betrachtete dieses Gesicht. Und je länger sie so dastand, umso mehr wurde das Gesicht der Toten zu ihrem eigenen Gesicht und der Körper zu ihrem Körper.
In diesem Augenblick erkannte Esther: Zwischen diesem toten Mädchen und ihr selbst gab es eigentlich keinen Unterschied. Wäre sie auf der anderen Seite der Grenze geboren worden, dann wäre sie so geworden wie diese Tote – eine kalte, leblose, gefühllose, unehrliche Diebin am Rand des Verhungerns. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, auf welcher Seite der Grenze sie jeweils geboren waren.
Oder: Aus dem Buch:
Nach einigen weiteren Reisen nach Nordkorea kam Esther in Kontakt mit ein paar chinesischen Geschäftsleuten, die nach Möglichkeiten suchten, ihre Geschäftstätigkeit in das abgeschlossene Land hinein auszuweiten. Esther war für sie die geeignete Person, die ihnen sagen konnte, wie sie es einfädeln mussten. Esther ergriff diese Chance nur zu gern und brachte etliche große Investoren ins Land, was sie rasch bei den Grenzposten und den nordkoreanischen Behörden bekannt machte.
Allerdings wurde sie von den Staatsvertretern auch misstrauisch beäugt. Kein Ausländer blieb jemals so lange im Land und lebte so lange unter den erbärmlichen Verhältnissen. Niemand sonst organisierte Lkw-Ladungen von dringend benötigten Lebensmitteln aus China, ohne daraus einen persönlichen Gewinn zu ziehen. Sie war eine Ausnahmeerscheinung und allein das machte sie verdächtig. Andererseits wurde sie von der Regierung geduldet, denn sie war die Einzige, die große Warenlieferungen von unterschiedlichen Lieferanten besorgen konnte. Der Regierung galt sie als unerwarteter Glücksfall für die Menschen in Nordkorea.
Aber Esther brachte nicht nur Investoren ins Land. Neben all den anderen Warenlieferungen hatte sie immer Dinge mit, die sie selbst verschenkte und von denen sie wusste, dass sie dringend gebraucht wurden: Reis, Zucker und Mehl. Natürlich hätte sie auch gern Bibeln ins Land geschmuggelt. Aber sie hatte von Anfang an eine Entscheidung getroffen: Sie würde nur völlig legal einreisen.
Oft hatte sie ein Schwein dabei, das am ersten oder zweiten Abend in Nordkorea gebraten wurde. Die Menschen rochen den Duft des Fleisches, kamen aus dem weiten Umkreis und klopften an die Tür. Sie gaben vor, sie wollten Fleisch kaufen, aber jeder wusste, dass niemand Geld hatte und alle hofften, etwas umsonst zu bekommen. Anscheinend hungerte die gesamte Bevölkerung in Nordkorea und wollte nur einmal wieder ein kleines Stückchen Fleisch auf dem Teller haben.
Egal, wer anklopfte – Esther sorgte dafür, dass jeder wenigstens irgendetwas bekam. Sie verteilte Fleisch, Reis, Suppe und was sie sonst noch aus China mitgebracht hatte. Es war der erste Schritt, um ihre Arbeit unter den Nordkoreanern aufzubauen. Unter den Dorfbewohnern war Esther rasch überall bekannt. Vom Ältesten bis zum Jüngsten – alle kamen sie, um ein wenig Nahrung von Esther zu erhalten. Viele von ihnen hatten erschütternde Geschichten zu erzählen. Die meisten handelten davon, dass man fast verhungerte, dass Menschen ein ganzes Jahr lang keinerlei Proteine gegessen hatten, bis auf vielleicht ein einziges Ei.
Esthers Freigiebigkeit ließ die Menschen bald begreifen, dass sie Esther wirklich am Herzen lagen, und sie begannen ihr zu vertrauen. Esther konnte langsam beginnen, ihnen vom Evangelium zu erzählen.
******
Unter denen, die öfters kamen, gab es eine Frau, die Gitarre spielen konnte und sang. Aber sie hatte Tuberkulose und war stark unterernährt, weil es einfach nicht genug zu essen gab. Zu alledem schlug ihr Mann sie täglich. Als Esther sie kennenlernte, war sie nur noch Haut und Knochen. Ihre Augen waren trübe und sie sah aus, als würde sie jeden Moment einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Esther konnte nicht glauben, dass diese Frau die Schläge ihres Mannes noch ein einziges Mal überleben würde. Sie gab ihr Fleisch und Reissuppe und die Frau aß unter Tränen. Mit jedem Bissen, den sie schluckte, schien ihre Kraft zurückzukommen. Mit Tränen in den Augen sah sie Esther an.
„Vielen, vielen Dank für dieses Essen“, sagte sie. „Es ist sehr lange her, dass ich zuletzt Fleisch gegessen habe.“ Sie sah zu Boden und versuchte sich an dieses letzte Mal zu erinnern. „Einmal hatte ich solches Verlangen nach Fleisch, dass ich einen Ledergürtel gekocht habe, den ich auf der Straße gefunden hatte.“
Ein paar Tage später war die Frau wieder da. Sie brachte ihren Mann und ihren neunzehnjährigen Sohn mit. Beide waren ebenso ausgezehrt wie sie, also bot Esther ihnen von der Reissuppe an. Der Mann war sehr reserviert und nahm nur zögernd an, was sie ihm reichte, aber er wollte auch überleben und konnte Essen, das man ihm umsonst anbot, nicht ablehnen. Nachdem er gegessen hatte, wurde er zugänglicher und begann zu reden.
Esther fiel es leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Er habe einen Abschluss an der Universität in Pjöngjang gemacht, einer der angesehensten Hochschulen in Nordkorea, berichtete er. Esther stellte fest, dass sie gut über gemeinsame Interessen reden konnten.
Nach einem langen Gespräch ergab sich eine Gelegenheit, das Evangelium ins Spiel zu bringen. Sobald Esther den Namen Jesus erwähnte, verstummte ihr Gesprächspartner und hörte ihr sehr aufmerksam zu. Er schien jedes Wort aufzusaugen, das Esther über diesen ihm völlig unbekannten Jesus sagte. Die drei gingen an diesem Abend spät und Esther sah sie eine Weile nicht mehr.
Eines Tages war sie gerade auf dem Heimweg zu ihrer Unterkunft, als jemand ihren Namen rief. Sie blickte sich um und sah die Sängerin mit der Tuberkulose. Esther blieb stehen und die Frau rannte förmlich auf sie zu und – was Esther in Nordkorea noch nie jemanden hatte tun sehen – schlang die Arme um Esthers Hals.
„Meine Schwester aus China!“, rief sie aus. „Ich habe nicht gedacht, dass ich dich noch einmal sehe! Wie gut, dich wiederzusehen.“ Esther war fast erschrocken, dass diese Frau in aller Öffentlichkeit ihre Verbundenheit zum Ausdruck brachte.
„Ja, ich freue mich auch, dich zu sehen“, erwiderte sie. „Wie steht es zwischen dir und deinem Mann?“
„Oh, danke. Es könnte nicht besser sein. Ich weiß nicht, was passiert ist. Immer hat er mich geschlagen und auch unserem Sohn das Leben schwer gemacht. Aber jetzt ist er ein neuer Mensch. Er behandelt mich besser denn je. Es ist, als hätte das, was du an dem Abend damals mit ihm gesprochen hast, ihn völlig verwandelt. Ich kann es noch immer kaum fassen, wieviel besser mein Leben jetzt ist.“
Esther freute sich mit ihr. „Das ist erst der Anfang“, lächelte sie. „Und es wird noch besser werden“, sagte sie und wies zum Himmel, um anzudeuten, dass Gott für diese Frau und ihren Mann noch mehr Gutes bereithielt.
Eigene Bewertung schreiben